Blockchain als Gosplan 2.0

IZABELLA KAMINSKA
MIT EINER EINLEITUNG VON SIMON DENNY
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Das Aufkommen von Bitcoin und die rasch um sich greifende Debatte über Kryptowährungen hat mehrfach ihre Schwerpunkte verlagert, seit der sagenumwobene „Satoshi Nakamoto“ 2009 die beliebteste alternative, digitale Währung aus der Taufe gehoben hat. Was zunächst wie eine alternative Zahlungsmethode daher kam, die jenseits von Staatsgrenzen und der Kontrolle durch Banken funktioniert, hat sich als Inspirationsfunke für weitere alternative Strukturen, Netzwerke und Systeme abseits der üblichen Geld- und Handelswege entpuppt. Für zahlreiche UnternehmerInnen, JournalistInnen, TheoretikerInnen und KünstlerInnen hat Blockchain zu starken Schlussfolgerungen hinsichtlich der Evolution des liberalen Wirtschaftssystems und der Zukunft von Nationalstaaten, Finanzaufsicht, Planung, Regulierung, Autonomie, Regierungsfähigkeit und anderer grundlegender Fragen geführt. Die Vorstellung, dass Gesetze und Regularien von Computercodes abgelöst werden und von einem nicht zu korrumpierenden Netzwerk ersetzt werden könnten, das allen und niemandem gehört, ist eine machtvolle Idee. Sie hat sich als großartiges Modell erwiesen, das zum Träumen anregt und uns abweichende wie vielfältige neue (und nicht so neue) Geschichten darüber zu erzählen erlaubt, wie sich die Welt in Zukunft organisieren könnte. Izabella Kaminskas Beiträge im Financial-Times-Blog Alphaville, die sich häufig auf herausragende Firmen und VisionärInnen wie etwa 21 Inc und Balaji Srinivasan konzentrieren, haben mir die Macht dieser Geschichten aufgezeigt. Im Kontext meiner Präsentation Blockchain Visionaries (2016) bei der 9. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst, die versucht, die Essenz einiger dieser inspirierenden Geschichten einzufangen, freue ich mich sehr, ihre kritischen Überlegungen zur Blockchain zu hören. Sie gehört zu den stärksten Stimmen, die dazu beitragen, die Versprechen und den Tiefgang der Geschichte der Blockchain zusammenzutragen und zu formulieren.

Simon Denny, Berlin 2016

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In dem Film Alphaville aus dem Jahr 1965 zeigt der französisch-schweizerische Nouvelle-Vague-Regisseur Jean-Luc Godard einen Stadtstaat, der von extrem kaltherziger Logik und rationaler Technik regiert wird.

In Alphaville gibt es keine Frage nach dem Warum, sondern lediglich Konsequenzen. Es gibt weder Zukunft noch Vergangenheit, nur Gegenwart. Gefühl, Versagen und Wechselfälle sind allesamt verboten. Paradoxie, Poesie und Liebe sowieso.

Stattdessen liegt das Ziel der technokratischen Diktatur darin, das perfekte organisatorische System zu errichten. Alpha 60 – das zentrale Gedächtnis der Stadt und zugleich der Prozessor – steht für die ursprüngliche Rolle, die eine solche Intelligenz in einer logisch strukturierten Organisation wie Alphaville spielen könnte. Ein Gosplan 2.0, wenn man so will (und mit der Geschichte des Planungskomitees des Sowjetstaates vertraut ist).

Rund um die Uhr stellt sich Alpha 60 selbst vor Aufgaben, von denen zahlreiche zu komplex für den menschlichen Verstand sind.

Konfrontiert mit dem poetisch veranlagten Lemmy Caution, einem verdeckten Ermittler aus dem humanistischen Umland, teilt Alpha 60 diesem mit, dass „jede Organisation von Natur aus danach strebt, sämtliche ihrer Handlungen zu planen. Anders formuliert, die Zahl der unbekannten Faktoren so gering wie möglich zu halten.“ Im Grunde also, das Risiko zu minimieren.

Der Chefingenieur des Alpha 60 erklärt Caution, dass darum niemand in Alphaville „warum“ sagt, sondern nur „weil“. „Im Leben von Individuen ebenso wie im Leben von Nationen ist alles miteinander verknüpft, ist alles Konsequenz“, erläutert er.

Caution, der die Macht des Alpha 60 über die Bürgerinnen und Bürger von Alphaville mit Poesie und Paradoxie zu untergraben plant, entgegnet trotzig: „Ich werde dafür kämpfen, dass Fehler möglich werden.“

Anders als die EinwohnerInnen von Alphaville versteht Caution, dass Liebe, Glaube, Mut und Zärtlichkeit das Wesen des Menschen ausmachen. Er betrachtet die BürgerInnen von Alphaville als SklavInnen der Wahrscheinlichkeit, einem technokratischen Ideal, das demjenigen von Ameisen oder Termiten nicht unähnlich ist.

Das war die Blockchain, wie es sie früher einmal gab. Was mittlerweile aus der Blockchain geworden ist, ist eine weitaus verwickeltere Geschichte.

Oh, was würde nur der Geist Jean-Luc Godards von den heutigen Bestrebungen halten, einen Alpha 60 mithilfe der brutalen Verknüpfungslogik zu erzeugen, die auch unter dem Namen Blockchain bekannt ist.

Was ist die Blockchain? Das ist dieser Tage nicht so einfach zu definieren. Die Parallelen zu Alpha 60 sind jedoch nicht von der Hand zu weisen.

In ihrer ersten Inkarnation handelte es sich um einen Begriff für die Technologie der „verteilten Hauptbücher“ (distributed ledger technology), einem Computerprotokoll, das die virtuelle Währung der Bitcoin antreibt und das Mittel zu dem Netzwerk war, das Vertrauen synthetisierte.

Zu Beginn sollte es sich dabei um ein demokratisches System handeln. Alle konnten teilnehmen. Man musste lediglich die Teilnahmebedingungen herunterladen und dem Netzwerk Rechenleistung zur Verfügung stellen. Der wahre Status der Konten wurde festgestellt, indem regelmäßig in Netzwerkabstimmungen die öffentliche Meinung eingeholt wurde.

Allerdings war in einer Umgebung, in der die Abstimmenden absichtlich unregistriert und daher anonym blieben, auch ein Kontrollmechanismus nötig, der mögliche Manipulation des Abstimmungsverhaltens und betrügerisches Verhalten verhindern sollte.

Bei Bitcoin bestand die Lösung darin, das Eigeninteresse der Mitwirkenden in einen Prozess des „Arbeitsnachweises“ zu kanalisieren. Wollte man, dass die eigene Stimme zählt, so musste man zunächst reale Energie zur Lösung von ungeheuer schwierigen kryptografischen Rechenaufgaben beitragen. Das war im Grunde nichts anderes als eine Anzahlung. Die Abstimmenden, die auch Miner genannt werden, erhielten einen Ansporn, die Aufgaben zu lösen, da sie so Ansprüche an das System gewannen, die als Bitcoins bekannt wurden. Um zu verhindern, dass eine einzelne Entität das System mit mehrfachen Stimmabgaben korrumpiert, stellten die Teilnahmebedingungen sicher, dass die Rechenaufgaben zunehmend schwieriger werden – also mehr Rechnerkapazität und dementsprechend mehr Energie erfordern –, je mehr Miner es gibt. Nur wenn der Wert der Bitcoin in der wirklichen Welt die Energiekosten des Miners überstieg, konnte dieser einen Gewinn verbuchen.

Auf jeden Fall bot das Hauptbuch, das sich nun auf allen Laufwerken sämtlicher Teilnehmenden befand, eine Momentaufnahme dessen, auf welchem Ort im Netzwerk sich genau welcher Wert befand. Und da der Ausgang einer jeden Abstimmung in die jeweils vorangegangene eingeschlossen wurde, entstand eine „Kette“ von „Transaktionsblöcken“, die man für eine unabänderliche öffentliche Datenbank hielt – eine reinere und besser gerechtfertigte Version gegenwärtigen Werts, als es jemals zuvor gegeben hatte.

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Das war die Blockchain, wie es sie früher einmal gab. Was mittlerweile aus der Blockchain geworden ist, ist eine weitaus verwickeltere Geschichte.

Was wir sicher wissen, ist, dass mächtigen Interessen viel daran liegt, das Potenzial einer Datenbank zu realisieren, die – wie Alpha 60 – eher mit der rohen Gewalt der Logik arbeitet als mit subtilen, subjektiven, quantitativen Bestimmungen dessen, worin ein Wert wirklich besteht. In Wirklichkeit lautet die Frage: zu welchem Zweck? Und cui bono, wer profitiert von experimentellen Blockchain-Projekten wie Ethereum, 21 Inc oder Digital Asset Holdings, die ein System zelebrieren, das niemals vergisst? Um dies – wie Lemmy Caution – zu verstehen, muss man in die relevante und subjektive Geschichte des Finanzwesens eintauchen.

In erster Linie war das Finanzwesen schon immer die Geschichte der Zuweisung, Aufteilung und Verteilung von Wirtschaftsgütern. Wenn Märkte eine Abstimmungsmaschine für die Güter und Dienstleistungen einer Gesellschaft darstellen, dann bestimmt das Finanzwesen darüber, wer abstimmen darf und warum.

Ein Aspekt des Finanzwesens, der weniger häufig Beachtung findet, ist, dass es auch eine Geschichte von Skalierung, Netting und Vertrauen erzählt.

Als Beispiel kann man die klassische Situation betrachten, wenn Menschen zusammen im Restaurant gegessen haben und es um die Rechnung geht. Entweder jeder zahlt für sich allein – ein Prozess, der langwierig, umständlich und frustrierend sein kann. Oder ein Mitglied der Gruppe zahlt für alle – in dem gegenseitigen Einvernehmen, dass dies zu einem späteren Zeitpunkt ausgeglichen wird (oder einen Ausgleich für zwischenzeitlich eingegangene Verpflichtungen darstellt). Man kennt das ja … „Alles klar, die Runde geht auf mich, ich schulde dir noch was vom letzten Mal.“

Die erste Option ist analog zu dem, was in Bankkreisen als Brutto-Abwicklungssystem bezeichnet wird, während die zweite Option eher ein Beispiel für einen Netting-Prozess bietet.

Es ist leicht einzusehen, dass letzteres in jeder Hinsicht schneller und effizienter ist. Dennoch birgt das System auch Risiken für die Person, die bezahlt. Es kann lange dauern, bis die eigenen Auslagen erstattet werden – fall sie überhaupt je erstattet werden.

So führen Abwicklungssysteme, die an Netting-Verfahren hängen, ein gewisses Kreditrisiko in das System ein. Systeme, die dies nicht tun, verzichten auf ihre Effizienz (und die Gelegenheit zur Skalierung).

Ein Risiko im Namen einer Gesellschaft einzugehen und es dementsprechend zu managen, ist jedoch genau das, womit die FinanzdienstleisterInnen ihre Existenz rechtfertigen. Geschieht dies auf angemessene Weise, so verkleinern die Banken ihre Risiken, indem sie die Netzwerke, in denen sie sich bewegen, kontrollieren und überprüfen (und ihre KundInnen, deren jeweilige Reputation und ihr wahrscheinliches Verhalten gut kennen) – oder indem sie die Zahlungsströme diversifizieren und skalieren, damit diese nicht zu einseitig beziehungsweise gleichförmig und daher gefährlich werden. Geschieht dies auf falsche Weise, so schätzen sie Verhaltensweisen verkehrt ein und provozieren die Art von systemischen Ungleichgewichten, die Panik und Finanzkrisen auslösen.

In dieser Hinsicht gleichen Banken das Bedürfnis des Systems aus, zum Zweck der Wirtschaftsplanung anzunehmen, dass bestimmte Verhaltensweisen unumstößlich sind, die verhindern, dass eine Gesellschaft ein freies System handhabt, in dem jede/r es sich anders überlegen kann.

Nur wenn wir verstehen, dass das Recht, es sich anders zu überlegen, irrational zu handeln, selbstsüchtig zu handeln oder gar in Paradoxien zu denken, das Risiko im System verkörpert, verstehen wir auch, in welchem Maß ein finanzielles Netzwerk, das sämtliche Risiken beseitigt, zugleich ein System ist, das unsere Entscheidungsfreiheit zunichte macht und unser Recht, überhaupt irgendwelche Fehler zu begehen.

Das gegenwärtige System ist anfällig, ineffizient und unmöglich zu skalieren, und das umso mehr, als es sich zu sehr auf liquide Kreditsicherungen verlässt (die begrenzt sind).

Quid pro quo: Je mehr das Bankensystem Netting betreibt und Skaleneffekte nutzt, desto mehr setzt es sich dem Risiko aus, dass sich manche Menschen nicht so verhalten, wie es die Theorie beziehungsweise die Wahrscheinlichkeit vorhersagen. Ebenso gilt, je weniger das Bankensystem Netting und Skalierung einsetzt, desto kleiner ist das Risiko – desto weniger effizient wird es jedoch auch und desto größer sind die Opportunitätskosten an ungenutzt brachliegenden Kapazitäten. Das unterläuft jedoch den ureigensten Zweck der Finanzintermediation.

Dementsprechend ist der Heilige Gral für Bankerinnen und Banker seit eh und je ein System, das Risiken mindert, indem es den Wert durch alle Punkte nachverfolgbar macht – wie also ein Ober nach und nach die Zahlungen der einzelnen KundInnen entgegennimmt –, ohne auf die Effizienz des Netting-Verfahrens zu verzichten.

Erst mit der Einführung der ultraschnellen Prozessoren in den 1980er Jahren, die es dem Ober gestatteten, seine Kapazität, Zahlungen nacheinander entgegenzunehmen, erheblich zu beschleunigen, konnten sich die BankerInnen diesen lange gehegten Traum endlich erfüllen.

Das hätte sogar funktionieren können, wären die Zahlungsströme innerhalb einer Ökonomie vollständig vorhersagbar und synchron und wäre die Auslieferung der computerbasierten Abwicklungssysteme nicht so weit ausgebreitet worden, dass die relativen Vorteile für den Bankensektor minimiert worden wären.

Die mangelnde Synchronizität war zu allen Zeiten ein wohlverstandenes Risiko, das einem jeden Brutto-Abwicklungssystem inhärent war und verbunden mit der Tatsache, dass ein System, das keinen Kredit, keine Nuancen und kein Risiko toleriert, unweigerlich von einem deterministischen Verständnis der Ursache-Wirkung-Beziehung abhängig ist.

Allerdings heißt das in einer Welt der begrenzten Liquidität, dass jegliche Verzögerung, jeder Stau oder Stillstand im Übertragungsprozess, gleichgültig wie klein (wenn zum Beispiel einer der beim Abendessen Anwesenden seine Rechnung nur um zehn Cents unterschätzt hat), bewirkt, dass der gesamte Zahlungsverkehr zum Erliegen kommt, bis das Defizit wettgemacht ist. Darüber hinaus gilt dies gleichviel, ob das Defizit bei einem Millionär aufgetreten ist oder nicht. Worauf es allein ankommt, ist die Größe des Liquiditätspools relativ zu den eingegangenen Verpflichtungen, die ausgeräumt sein müssen, bevor die übrige Gruppe weitermachen kann.

Um also zu verhindern, dass diese Sorten von Verzögerung das gesamte Zahlungsnetzwerk lahmlegen, haben Zentralbanken entschieden, Liquiditätsspritzen an alle zu verabreichen, die diese beantragen und die dazugehörige Kreditsicherheit besitzen. Mit anderen Worten: Unser Bevollmächtigter (der Not leidende Gast im Restaurant) müsste lediglich der Zentralbank seine Besitzurkunden vorlegen, und sein Fehlbestand von zehn Cents würde unter der Voraussetzung durchgewunken, dass das Manko nur ein vorübergehendes wäre und alsbald durch Einkünfte aus anderen Quellen ausgeglichen würde. Wäre dies nicht der Fall, so gingen die Besitzrechte an den verpfändeten Kreditsicherheiten (das heißt die Besitztümer) an die Zentralbank über, die sie schlimmstenfalls pfänden und liquidieren könnte.

Doch anstatt, wie erhofft, das Risiko zu eliminieren beziehungsweise zu kontrollieren, hat das Regime lediglich das Kreditrisiko in ein Kreditsicherheitsrisiko umgewandelt, sodass Banken einen Anreiz dafür haben, Vermögenswerte überzubewerten, die der Bank ohne jegliche Kosten als Liquiditätsquelle dienen könnten. Es ist allgemein bekannt, dass genau dies zur Finanzkrise von 2008 geführt hat. Weniger bekannt ist, wie die Banken in ihrer vollkommenen Unsicherheit, ob die Wirtschaft in der Lage wäre, die monetären Ansprüche zu bedienen, sich entschieden haben, die Einkünfte und Ausgaben innerhalb des Systems selbst unabhängig zu überprüfen und zu verifizieren sowie Liquidität zu horten, bis sie sich sicher sein konnten, dass sie diese auch besaßen.

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Das war der Auslöser dafür, dass das Finanzsystem heute von der Blockchain besessen ist.

Das gegenwärtige System ist anfällig, ineffizient und unmöglich zu skalieren, und das umso mehr, als es sich zu sehr auf liquide Kreditsicherungen verlässt (die begrenzt sind). Auch ist es unglaublich teuer, denn die Banken können niemandem außer sich selbst anvertrauen, das Netzwerk zu prüfen und zu kontrollieren, sodass sie einen Großteil ihrer Arbeit verdoppeln (die sie zuvor gerne geteilt haben) und auf geradezu unfassbare Weise brachliegende, scheinbar überschüssige Liquidität horten, nur für den Fall, dass es Fehlbeträge in ihren Bilanzen gibt.

Mittlerweile erscheint es dem System viel zu riskant, zum Netting-Verfahren zurückzukehren, da es sich an die Unfehlbarkeit des Echtzeit-Ausgleichs gewöhnt hat. So kann es kaum verwundern, dass die Aussicht der Blockchain, dass wir von allen Seiten das Beste haben können, plötzlich extrem attraktiv wirkt – und das umso mehr, wenn sie auch noch das Risiko der Überbewertung der Kreditsicherungen zu reduzieren verspricht.

In dieser Hinsicht gibt es hier drei Kerngeschichten zu erzählen:

Eine Geschichte ist die von Balaji Srinivasan von der Risikokapitalgesellschaft Andreessen Horowitz, dem Start-up-Unternehmen 21 Inc und ihrer Überzeugung, dass Bitcoin in seinem heutigen Zustand den Dollar als internationale Referenzgröße ablösen kann, vorausgesetzt, es wird zur entscheidenden Recheneinheit für Mikrozahlungen in der internetbasierten Weltwirtschaft.

Was diese Sicht der Dinge vernachlässigt, ist die Bitcoin innewohnende Nicht-Skalierbarkeit, die sich daraus ergibt, dass Bitcoin übermäßig auf extrem energieintensive Prozesse angewiesen ist und die Tendenz verkörpert, Macht von einer öffentlichen, rechenschaftspflichtigen Institution zu verlagern auf private, anonyme, oligarchische Gruppen, die niemandem gegenüber Rechenschaft ablegen. In einer Welt, in der Sichtweisen wie etwa die von 21 Inc vorherrschen, gäbe es weder Skalierung, noch gäbe es wirtschaftliche Effizienz. Das Resultat wäre wohl eher das Gegenteil: Netzwerke, die aufgesplittert werden, Kooperationen, die aufgekündigt oder verweigert werden, eine Volkswirtschaft, die vor der Kontraktion steht. Erst recht gilt dies, solange die Kluft zwischen dem Wert von Mikrozahlungen in der digitalen Welt und dem Wert großer Zahlungen in der wirklichen Welt so groß bleibt, wie sie heute ist.

Die zweite Geschichte erzählt von der Überzeugung, dass ein privates Blockchain-Kartell die Macht besitzt, ein Niveau von Synchronizität, Normung, Sicherheit und Größenordnung zu erreichen, das nötig ist, um weiterhin innerhalb des „Risiko-befreiten“ Brutto-Systems operieren zu können, wenn auch ohne dieselben Lasten an technischen Ausgaben oder Liquiditätsbeschränkungen, die mit ihm einhergehen. Das ist die Geschichte von Blythe Masters – einer Frau, die dafür bekannt ist, mit ihrer Erfindung des Credit Default Swap das Risiko für den gesamten Kreditmarkt beseitigt zu haben – und ihrem Unternehmen Digital Asset Holdings.

Dieser Blickwinkel blendet jedoch aus, dass es alles andere als eindeutig geklärt ist, ob private Blockchains Kosten und Effizienz des gegenwärtigen Systems optimieren können. Auch besteht kein Grund zu glauben, dass eine Blockchain mehr Erfolg bei der Einführung von einheitlichen Industriestandards haben wird, als Regierungen und Aufsichtsbehörden dies bislang aufweisen können. Im Gegenteil: Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass wir am Ende mit einem System von konkurrierenden Kartellnetzwerken, die nicht miteinander auskommen, dastehen. In dem unwahrscheinlichen Fall, dass sie in einem so hochgradig normierten, synchronisierten und interoperablen Umfeld doch miteinander auskommen, setzt seine Vorhersagbarkeit das System völlig neuartigen Risiken der Cyberspace-Sicherheit aus, die heute niemand erdenken oder berechnen kann. Schließlich wird hier die Herausforderung unterschätzt, die es bedeutet, das gesamte Finanzsystem in einem transparenten Hauptbuch zu erfassen, weil es den fortgesetzten Anreiz zu parallelen, vom Netz „abgekoppelten“ Bankennetzwerken ignoriert, die jederzeit in informellen Umgebungen (wie zum Beispiel Babysitting-Clubs) oder in solchen Rechtsräumen entstehen können, die dunklen Netzen und Schwarzmärkten einen sicheren Hafen bieten.

Alle drei scheinen zu übersehen, dass soziale Systeme zu allen Zeiten die Tendenz aufgewiesen haben und aufweisen werden, impulsiv und unvorhersehbar zu reagieren, wenn ihr Recht auf irrationales Verhalten unterdrückt wird.

Die dritte Geschichte basiert auf der Überzeugung, dass die Einführung von Turing-Vollständigkeit in eine wirtschaftliche Version der Blockchain – das im Großen und Ganzen dem heute herrschenden Brutto-Abwicklungssystem gleicht, wenn auch mit deutlich niedrigeren Einstiegsbarrieren – ein unveränderliches Register von zuvor vereinbarten Befehlen anlegen kann, die unter Voraussetzung des Rechts auf Selbstabwicklung ohne Ausnahme eine Gesellschaft auf der Basis von Fairness und Gleichbehandlung organisieren können. Hierbei handelt es sich um die Geschichte des Wunderkindes Vitalik Buterin und sein Smart-Contract-Projekt Ethereum.

Dies vernachlässigt jedoch die Tatsache, dass die Erstellung eines jeden Kontrakts (ob „smart“ oder nicht) etwas völlig anderes ist als die Beantwortung der Frage nach der Erfüllung und der Durchsetzung von Verträgen, die von rechtlichen Verfahren bestimmt werden. Ebenso wird übersehen, dass Verträge dazu neigen, sich auf die unerfindlichsten Weisen daneben zu benehmen, von unverhohlenem Widerspruch bis zum blinden Vertrauen darauf, was das Gesetz sagt, im Gegensatz zu dem, was es besagen soll. Darüber hinaus wird hier ignoriert, dass der Mensch die Fähigkeit besitzt, seine Meinung zu ändern, dass es Fälle gibt, in denen Gesetze oder Übereinkünfte im öffentlichen Interesse aufgehoben werden, wie auch solche, in denen Einzelpersonen gute Gründe finden, die Absprachen für nichtig zu erklären. Und das lässt noch das Risiko außer Acht, dass völlig unvorhersehbare Ereignisse wie Naturkatastrophen, Kriege oder Betrug die Verteilung der Wirtschaftsgüter in einem System, das keine Fehler, vage Vermutungen und Vertragsbrüche toleriert, aus den Angeln heben.

Dementsprechend haben alle drei Geschichten die althergebrachte Überzeugung gemein, dass, wenn der Geist in der Maschine in Ketten gelegt wird – und dadurch ein vollkommen vorhersehbares Umfeld entsteht –, sämtliches Risiko aus dem System beseitigt werden kann und dies letztendlich das Tor zu unerhörtem wirtschaftlichen Wohlstand öffnet. Alle drei scheinen zu übersehen, dass soziale Systeme zu allen Zeiten die Tendenz aufgewiesen haben und aufweisen werden, impulsiv und unvorhersehbar zu reagieren, wenn ihr Recht auf irrationales Verhalten unterdrückt wird.

Wie Lemmy Caution uns sagen könnte, ergibt wirtschaftlicher Wohlstand nicht besonders viel Sinn, falls der Preis des Füllhorns eine Welt ist, in der es niemandem gestattet ist, unlogisch zu handeln.