Formulation 0.10

SEAN RASPET
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Um größtmögliche Effizienz zu erzielen, muss ein Produkt (oder jede andere Einheit) skalierbar sein. Die modulare Zusammensetzung von Komponenten im Fertigungsprozess kann ein relativ bruchloses Hochfahren der Produktion ermöglichen und so für den gleitenden Übergang von mikroökonomischen Nischen zur Massenproduktion sorgen. Wenn eine Produktionseinheit den Wechsel von einer Ebene zur nächsten mit geringfügigen Formwandlungen bewältigt, kann sie in einem fluktuierenden Feld funktional stabil bleiben.

Wenn man Nahrung in ihre grundlegenden funktionalen Bestandteile zerlegt, die dann flexibel aus vielfältigen Rohstoffen gewonnen werden können, reduziert dies die Verschwendung von nicht verwendeter oder vom verbrauchenden Organismus nicht verstoffwechselter Teile des geernteten Organismus. In diesem Bereich weniger zu verschwenden, führt bei gleichbleibenden Mengen konsumierbarer Kalorien und Nährstoffe zu einem entsprechend geringeren Verbrauch von Land, Wasser und Energie. Ein Algenstamm, der (wie im Fall des Prototyps 0,10) genetisch verändert wurde, um effizient Fette und Proteine zu erzeugen, und der in einem Bioreaktor gezüchtet wird, kann wesentlich mehr Kalorien je aufgewendeter Einheit Wasser/ Land/Kohlendioxid erzeugen.

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Der vorherrschende Trend zu einem rückwärtsgewandten Schamanismus des „Biologischen“ und „rein Natürlichen“ (eine Ernährungsmode, die sich auch in allen Bereichen der Kunst und Kultur niederschlägt) ist eine Ideologie der Ineffizienz. Diese Denkweise ist darauf aus, die Welt als eine Ansammlung von „Dingen“ (ob ganzheitlich und gesund oder nicht) anstatt von Quantitäten, Funktionen und Beziehungen zu betrachten. Die Forderung, Tomaten in unveränderten, weniger effizienten Sorten mit vormodernen landwirtschaftlichen Methoden Um größtmögliche Effizienz zu erzielen, muss ein Produkt (oder jede andere Einheit) skalierbar sein. Die modulare Zusammensetzung von Komponenten   anzubauen, ist ein Rezept für den Feudalismus. Sie begreift eine „Tomate“ naiv als ein unveränderliches „Ding“, nicht als eine formbare Funktion, die notwendigerweise einem stetigen Prozess der „Veränderung“ unterliegt. Beim Trend zur „reinen Natur“ geht es im Wesentlichen darum, kategorische Grenzen aufrechtzuerhalten, und zwar auf Kosten aller Bemühungen, den Fußabdruck des menschlichen Kalorienkonsums in Form von Land-, Wasser- und Energieverbrauch zu reduzieren.

Photobioreactor PBR 4000 G IGV Biotech

Der größte Teil ökonomisch-kalorischer Energie¹ wird heutzutage darauf verwendet, bestehende Dinge in den Grenzen vorgängiger Parameter umzuformulieren (anstatt auf der Ebene der Kategorien selbst anzusetzen). Wie die Kunst ist auch das nie endende Umformulieren eine Form der Verschwendung oder des Überflusses. Wenn wir diese Verschwendung und den Drang zum unablässigen Umformulieren (die Arbeit um der Arbeit willen) auch nicht ganz beseitigen können, so lässt sich diese ästhetisch-ökonomische Verausgabung doch wenigstens in andere Dinge investieren, auf die wir ebenso wenig verzichten können, wie etwa Nahrung oder Medizin. Hier kann man die zusätzliche Verausgabung als dünne, ästhetische Beschichtung auf den funktionalen Untergrund auftragen (0,10 Prozent Geschmack je Gewichtseinheit) – im Sinne eines gewissen Etwas oder Je ne sais quoi, das am Ende in unseren Verstoffwechslungsvorgängen aufgeht. Reduzieren wir Verschwendung, indem wir den Energieaufwand in Bahnen lenken, in denen er sich zurückgewinnen lässt! Schließlich ist die gewaltige ökonomische Anstrengung, die darin liegt, immer neue mögliche Ausprägungen des Bestehenden zu formulieren, auch eine fortlaufende, großmaßstäbliche Umformulierung der Erdatmosphäre.

¹ Ökonomisch-kalorische Energie meint die Energieressourcen, die – häufig in Form von Ölverbrauch – im Wirtschaftsprozess der Produktion aufgewendet werden. Sie umfasst auch die Stoffwechselenergie arbeitender Menschen, die wiederum ihre eigenen, einander überschneidenden Energiebedarfe aufweist.

SEAN RASPET produziert flüssige Rezepturen und abstrakte Systeme, die in der Massenwirtschaft und der Finanzwelt zirkulieren. Frühere Projekte beinhalten künstliche Aromen und Duftstoffe, Reinigungsmittel, neue Lebensmittel- Prototypen, synthetisches DNA-Nachverfolgungsgel und ein gekoppeltes System von Untervermietungen. Für die 9. Berlin Biennale hat Raspet eine exklusive, limitierte Auflage von 2000 Proben von Soylent 0,10 für das Cover der Publikation hergestellt.

ABBILDUNG: Sean Raspet x Soylent R&D, Soylent 0.10, complete nutrition algae-derived paste (prototype), Pentagon-1/OMNI flavor formula