Glück im Glück finden

SIMON & DANIEL FUJIWARA
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Für sein Projekt für die 9. Berlin Biennale, The Happy Museum (2016), engagierte Simon Fujiwara seinen Bruder Daniel, einen Wirtschaftswissenschaftler und Experten auf dem hochaktuellen Gebiet der Happy Economics als Berater. Dieser im Aufschwung befindliche ökonomische Trend befasst sich mit der Wertbestimmung und Monetarisierung von Glück und Wohlergehen. Welchem Wert, in Euro ausgedrückt, entspricht das Glück, das man pro Person und Jahr aus dem Tanzen bezieht? Mit Daniel Fujiwaras ökonomischen Erhebungen lassen sich genaue Zahlen angeben, anhand derer Sie überlegen können, ob sich das Tanzen für Sie lohnt. Das folgende Gespräch fand im Rahmen der Ausstellungsvorbereitungen statt.

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SIMON FUJIWARA Würdest du bitte beschreiben, was Simetrica, die von dir gegründete Firma, macht?

DANIEL FUJIWARA Simetrica ist eine Forschungsorganisation, die unter Anwendung der Wirtschaftswissenschaften und anderer Disziplinen wie der Philosophie, der Verhaltens- und der Neurowissenschaften das menschliche Verhalten, Gefühle und Werte untersucht. Ziel ist es, die Auswirkungen von politischen Programmen und Handlungen auf das Wohlergehen der Gesellschaft besser zu verstehen. Unsere Arbeit ist technisch und quantitativ ausgerichtet. Wir verwenden eine breite Palette mathematischer und statistischer Konzepte und Instrumente, aber all unser Tun beruht auf einem deutlich strukturierten und detaillierten ethischen Ansatz, der sich auf die Kernpunkte der normativen und angewandten Ethik stützt. Um ein konkretes Beispiel zu geben: Wir haben uns damit befasst, was Werte in der Kunst und Kultur bedeuten und wie sie zu messen sind. Diese Arbeit haben wir überall auf der Welt für Regierungen und Kunsteinrichtungen und -gremien durchgeführt.

SF Einfach ausgedrückt besteht das Ziel also darin, Organisationen dabei zu helfen, den Einfluss, den sie auf das Wohlergehen der Menschen in der Gesellschaft haben, zu verstehen. In letzter Zeit ist eine immer größere Zahl von Firmen dem Glauben verfallen, ihr Image habe nicht nur mit den Produkten zu tun, die sie verkaufen, sondern auch mit dem Einfluss, den sie auf die Welt ausüben. Die Vorstellung, Gutes zu tun oder den Menschen Glück zu bringen, ist zu einer Werbestrategie geworden. Siehst du hier einen Bezug zu deiner Arbeit, oder glaubst du, da findet etwas anderes statt? Glaubst du, es wird wirklich Gutes getan?

DF Das ist in der Tat eine knifflige und interessante Frage, denn es kommt in großem Maße darauf an, wie man „wirklich Gutes“ definiert. Denkt man über das „Gute“ nach, ist es ein ethischer Ansatz, eine Handlung ausschließlich an den Ergebnissen zu bemessen, die sie produziert. Eine Denkart, die als Konsequentialismus bekannt ist und in der man davon ausgeht, dass Firmen, die Gutes tun, tatsächlich auch gut sind. Aber in vielen Fällen spielen bei der Beurteilung einer Handlung nicht nur die Ergebnisse eine Rolle. Die deontologische Ethik vertritt die Ansicht, dass der Handlungsprozess, dass Rechte und Pflichten moralisch ebenso bedeutsam sind. Insofern sollte man auch auf die Absichten hinter einer Handlung achten. Wenn wir den Eindruck haben, es sei falsch, nur um des besseren Profits willen ein „gutes“, der Gemeinschaft zugutekommendes Werk zu tun, dann können wir sagen, dass diese Firmen, die der Gesellschaft nur aus Eigeninteresse etwas zurückgeben, nichts „wirklich Gutes“ tun.

Es lässt sich in der Tat feststellen, dass die Motive und Intentionen der Firmen durchaus unterschiedlich sind; manche Unternehmen denken über ihre Bilanz und ihren Profit als Teil ihrer unternehmerischen Verantwortung nach. Sind sie mit ihrer sozialen Verantwortung gut aufgestellt und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betätigen sich ehrenamtlich, werden sie womöglich der Ansicht sein, dass dies dem Firmenimage zugute kommt und somit zu höheren Profiten führt. Aber wie bereits gesagt, ob dergleichen richtig oder falsch ist, ist eine ethische Frage. Wir als Firma vertreten den Standpunkt, dass alle Organisationen, seien sie öffentlich oder privat, eine Pflicht gegenüber der Gesellschaft haben, langfristig für ein besseres Wohlergehen von Mensch, Tier und Umwelt Sorge zu tragen.

Oder was genau haben Demenzkranke davon, eine neolithische Bronzefigur zu berühren?

SF Wie gestaltet sich deiner Meinung nach die Beziehung zwischen Technik und dem Menschen, welche Richtung schlägt sie ein?

DF In unserem Tätigkeitsfeld ist die Technologie von großem Vorteil, insofern sie uns ermöglicht, von zahlreichen Personen in Echtzeit Daten zu erheben. Sie erlaubt uns ein besseres Verständnis zur Beurteilung dessen, was in unserem Leben wichtig ist und was uns glücklich macht. Historisch gesehen hat es Daten dieses Typs zuvor nicht gegeben. Dies versetzt uns in die Lage, unsere philosophischen Annahmen zu überprüfen: Was ist Glück und was macht uns glücklich? Solange wir mit diesen Daten sicher und verantwortungsvoll umgehen und die Leute damit einverstanden sind, dass sie zu Forschungszwecken verwendet werden, kann dadurch, denke ich, unser Leben verbessert werden, und dies geschieht bereits in vielen Ländern der Welt.

SF Es ist schon komisch – in den vielen Gesprächen, die wir über die Jahre geführt haben, ist eines zunehmend deutlich geworden: Du bist aufgrund deiner Arbeit als Wirtschaftswissenschaftler auf einem Gebiet, das die Dinge ziemlich radikal vorantreibt, bereit, neue Denkweisen anzunehmen, die mit den alten radikal brechen. In gewissem Sinne nimmst du damit die traditionelle Avantgardeposition ein, die gewöhnlich die KünstlerInnen für sich beansprucht haben. Im Gegensatz dazu komme ich – und viele Leute aus meiner Generation, mit denen ich über deine Arbeit spreche – als Künstler geradezu reaktionär und konservativ daher, da wir immer sagen: „Jetzt aber mal halblang, wir wollen nicht, dass ÖkonomInnen oder WissenschaftlerInnen jeden Aspekt des menschlichen Lebens quantifizieren und in Beschlag nehmen. Wir müssen über das menschliche Glück nichts in Erfahrung bringen, um es erleben zu können. Wir sollten einen Moment des Rätselhaften bewahren und davon ausgehen, dass das Leben mehr als Wissen ist.“ Es ist fast so, als ob wir uns angesichts der Unmengen an Informationen, die wir über das Internet erhalten, nach einer Art selbstauferlegtem Unwissen sehnen – so wie die Bäuerinnen und Bauern zu Zeiten Galileo Galileis, die die astronomischen Entdeckungen von sich wiesen, damit der Himmel seinen Zauber nicht verliert. Entdeckst du solche Haltungen auch in deinem Arbeitsspektrum?

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DF Die Ökonomie ist ein äußerst aufregendes Feld, da wir gerne von vielen anderen Gebieten wie der Philosophie, Psychologie, Neurologie, Mathematik, Physik und Biologie lernen und deren Erkenntnisse übernehmen. Dieser interdisziplinäre Ansatz ist mein Hauptforschungsgebiet, und genau das tun wir auch bei Simetrica. Bestimmte Bereiche, in denen wir arbeiten und forschen, sind tatsächlich auf vielerlei Weise von einem gesteigerten romantischen Sinn affiziert, und viele meinen, dass sie nicht zum Gegenstand quantitativer oder technischer Forschung und Analyse werden sollten. Ich glaube allerdings, dass die Quantifizierung und das Bewerten entscheidend dazu beitragen, die uns umgebenden Phänomene besser zu verstehen, und in dieser Hinsicht gibt es keinen Unterschied zwischen dem Wohlergehen der Menschen und dem Glück. Als Forschungsdisziplin haben wir sicherlich eine ganze Menge über die Frage, was Glück ist und was uns glücklich macht, gelernt und fangen gerade erst an, einige das Glück betreffende Schlüsselfragen beantworten zu können, wie sie etwa Aristoteles, Epikur, Jeremy Bentham oder John Stuart Mill aufgeworfen haben. Ich finde das spannend, aber wir müssen begreifen, dass jede Diskussion über das Glück und das Messen des Glücks auf einer sachgerechten philosophischen oder ethischen Debatte und Denkweise gründen muss. Das ist in meinen Augen absolut wesentlich und zeigt sich auch in unserer Arbeit.

Kunst nimmt, da sie mit dem Wohlergehen des Menschen in Beziehung steht, einen wichtigen Platz in der Gesellschaft ein. Unsere Forschung legt immer wieder offen, dass Menschen, die kulturell aktiv sind und sich mit Kunst befassen, über einen höheren Grad des Wohlergehens verfügen. Dieser Grad bemisst sich über eine Vielzahl verschiedener Werteskalen, darunter Lebenszufriedenheit, Glück, Entspannung oder das Gefühl, einen Lebenssinn zu haben. KünstlerInnen verfügen gemeinsam mit LehrerInnen über den höchsten Grad an Lebenssinn. Und es gibt noch eine Menge anderer interessanter Entdeckungen. Zum Beispiel haben wir herausgefunden, dass Personen, die Filme anschauen, Galerien besuchen, in die Oper gehen und so weiter, also zum Publikum von Kunstereignissen gehören, damit viel für ihr Wohlbefinden tun, aber dass es sogar noch besser ist, wenn man ohne Begleitung zu solchen Ereignissen und Aktivitäten geht. Die Daten zum Wohlergehen ermöglichen es nun nach und nach, sich über die Wirkung der Kunst auf unser Glück ein Bild zu machen. Da die Kunst positiv auf unser Wohlbefinden einwirkt, ist sie auch für die Gesellschaft von Nutzen. Darauf werden unsere künftigen Forschungsvorhaben detaillierter eingehen.

SF Wo du schon von Galeriebesuchen sprichst, die am besten allein erfolgen, hast du dir Gedanken über die wachsende Individualisierung der Gesellschaft gemacht, und hast du den Eindruck, deine Arbeit könnte sie fördern? Die Tatsache, dass wir uns zunehmend von der Anerkennung durch Familie und Gemeinschaft lösen und unsere Selbstbeurteilung eine größere Bedeutung bekommt – hältst du das für eine gute Sache?

DF Der Individualisierungsprozess wurde von den DenkerInnen der Aufklärung in Gang gesetzt, deshalb denke ich, dass wir uns schon lange in diese Richtung bewegen. Tatsächlich haben die gegenwärtigen Forschungen zum Wohlergehen ihre Wurzeln auf vielfältige Weise im Denken der Aufklärung.

Interessant dabei ist: Durch die an zahlreiche Einzelpersonen gerichtete Frage, wie sie sich als Individuen fühlen, haben wir herausgefunden, dass viele Gesellschaften noch nicht sehr individualistisch ausgerichtet sind und dass das individuelle Glück stark vom Eingebundensein und dem Engagement in der Gemeinschaft und von der Beziehung mit anderen abhängt. Wir wissen durch unsere Arbeit mehr über Individuen und ihr Glück, und dieses Wissen hat bestätigt, dass für das menschliche Leben die gesellschaftliche Vernetzung entscheidend ist.

Wir könnten zum Beispiel den Wert eines Autos oder einer sozialen Erfahrung messen, indem wir schauen, wie viel die Leute darüber reden oder auch in Social Media darüber diskutieren.

SF Welches Wort, das nicht mit Geld konnotiert ist, würdest du für eine Wertbestimmung vorschlagen? Anstatt zu sagen, etwas bringt „soundsoviel Euro“ ein, was könnte es sonst einbringen? Wie wirkt der Anblick eines van Goghs auf uns? Oder was genau haben Demenzkranke davon, eine neolithische Bronzefigur zu berühren? Wie und wodurch wird dieser Mehrwert beschrieben?

DF Der Ausdruck „Wertbestimmung“ steht nicht von vorneherein mit Geld in Verbindung. In seinem reinsten Sinne ist Wert einfach ein Maß dafür, wie stark wir emotional mit etwas verbunden sind oder wie wichtig uns einige Dinge sind. Wert ist ein integraler Begriff, der auf alle empfindungsfähigen Wesen und nicht nur auf den Menschen anwendbar ist. Das heißt, Elefanten, Wale und Hunde können genauso wie wir Wert wahrnehmen. Wert kann auf vielerlei Art beschrieben und gemessen werden, zum Beispiel kann man messen, wie heftig FußballspielerInnen jubeln, wenn sie ein Tor erzielen, wie schnell ein Hund sein Fressen verschlingt, wie laut ein Kind schreit, wenn sein Lieblingsspielzeug kaputtgeht, wie viel wir für etwas zu zahlen bereit sind, wie viel Energie wir aufwenden, um etwas zu verteidigen und so weiter. Wir könnten Verhalten und Handlungen wie diese zur Messung des Werts heranziehen, den die Menschen bestimmten marktgängigen oder marktfremden Gütern, Dienstleistungen und Resultaten zuschreiben.

Der Geldwert ist nur eine Form der Wertbestimmung. Ich denke, in manchen Kreisen ist der Begriff in Verruf geraten, denn er wird in seiner Bedeutung nicht genau gehandhabt und nicht immer auf die gleiche Weise verwendet wie in den Wirtschaftswissenschaften. In der Ökonomie steht der Geldwert etwa eines Autos oder eines Gemeinschaftserlebnisses für den Betrag, den man zur Anhebung der Lebensqualität oder des Wohlergehens einer bestimmten Person – und zwar in demselben Maße, wie es das Auto oder die soziale Erfahrung leistet – aufwenden müsste. Geld ist buchstäblich nur eine quantitative Maßeinheit, die misst, um wie viel sich die Lebensqualität verbessert hat, so wie Grad Celsius bloß eine quantitatives Maß für Hitze oder Kälte ist. Wir könnten zum Beispiel den Wert eines Autos oder einer sozialen Erfahrung messen, indem wir schauen, wie viel die Leute darüber reden oder auch in Social Media darüber diskutieren, doch PolitikerInnen bevorzugen eine monetäre Wertbestimmung, denn man kann den Nutzen eines politischen Vorhabens und seine Kosten unter denselben Konditionen vergleichen.

Menschen, die van Gogh mögen, wird ein Blick auf einen van Gogh eine wertvolle Erfahrung verschaffen, die wir monetär messen können (und das haben wir in der Vergangenheit für verschiedene Museen getan), die wir aber genauso nicht-monetär messen könnten, indem wir erfassen, wie lange die betreffenden Personen vor dem Gemälde zugebracht, wie sehr sie ihre Freude über den Anblick geäußert haben und so weiter. Ein vergleichbarer Prozess ließe sich für die Wertbestimmung jedes beliebigen anderen Gegenstands, Erlebnisses oder Resultats anwenden.

Ein Beispiel, das das illustriert, ist ein Fußballspieler, der gegen dieselbe Mannschaft in einer Saison ein Tor erzielt und ein weiteres in der nächsten. Der Wert der einzelnen Tore unterscheidet sich wegen der unterschiedlichen jeweils herrschenden Umstände erheblich. Hat das erste Tor die Mannschaft zum Sieg geführt, ist das zweite Tor für das Spiel und die Spielzeit der Mannschaft nahezu bedeutungslos. Obwohl die Umstände und Parameter identisch sind (es handelt sich um ein Tor gegen eine unbestimmte Mannschaft), wird der Spieler die beiden Tore äußerst unterschiedlich bejubeln. Wir können also den Wert hinsichtlich des Verhaltens beobachten – hinsichtlich der Heftigkeit, mit der der Spieler sich nach dem Tor feiert. Lässt er sich ein paar Mal abklatschen, oder reißt er sich das Trikot vom Leib und springt in die Menge? Das ist die erste Größenordnung, wenn man über den Wert nachdenken möchte – ihn über das Verhalten zu begutachten. Danach müssen wir womöglich über die Quantifizierung nachdenken. In der Ökonomie tun wir das, indem wir untersuchen, inwieweit auf einer Skala etwa von null bis zehn die Lebensqualität einer bestimmten Person beeinflusst wird. Das erste Tor wird die Lebensqualität und das Wohlergehen des Spielers bei Weitem mehr erhöhen als das zweite. Dann könnten wir einen Schritt weiter gehen und die Skala heranziehen, um sie irgendwie in Geldwert zu übertragen. Also würden wir überlegen, was eine Erhöhung auf der Skala der Lebensqualität zwischen zwei und vier monetär bedeuten würde. Was würde es in anderen quantitativen Einheiten bedeuten? Die Frage ist, inwieweit können wir das Herunterreißen eines Trikots, das Schreien und Johlen einer Person, dieses Gefühl quantifizieren!?

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SIMON FUJIWARAs The Happy Museum (2016) besteht aus einer Sammlung von Kunstwerken, Alltagsobjekten, Werbeanzeigen, Kleidungsstücken, Performances und Videos, die den ma teriellen Ausdruck von Glück in Deutschland im 21. Jahrhundert erkunden.

ABBILDUNGEN: Simon Fujiwara, Werbeanzeigen für Simetrica, 2016